Annie Bardon
Zwischen Bewegung und Stille

Sich auf die Malerei von Miro Zahra einzulassen, heißt, sich einer Bannkraft auszusetzen und es bedeutet auch einen Einstieg in die Erzählweisen "anderer” Geschichten, die nicht mehr mit illustrativen Mitten sichtbar gemacht werden können. Der Betrachter begibt sich auf die Reise durch und mit den Bildräumen, die sich und ihre Umgebung ständig verändern; er bewegt sich auf Bilder zu, die konsequent die einmal gedachten ästhetischen Lösungen verlassen, und bricht mit ihnen aus dem Getto des festgefroreren ästhetischen Augenblicks aus.
Entsprechend ist in Leben und Werk der Künstlerin eine Konstante zu erkennen, die sich am besten mit einer paradoxen Formulierung charakterisieren läßt: Miro Zahra ist stets unterwegs - zwischen den Ländern, den Kulturen; in der Großstadt lebend wie auf dem Lande.
Unterwegs stets auch in ihrer Arbeit: sich nie bei Antworten ausruhen, weiter fragen, das Offene suchen, neues erproben, und dabei im Werk all dies als eins vereinen ohne eine Spur von Hast.
Wenn der Weg bereits das Ziel ist, wie eine taoistische Weisheit besagt, dann lösen Zahras Bilder diese Vorstellung formvollendet ein.

Die Arbeiten der letzten Jahre fügen sich - aneinander gereiht - zu einer langen, ruhigen Reiseroute, die jedoch auch voller Überraschungen sein kann = weite Strecken gemächlichen Dahintreibens, dann wieder Momente der Aufregung, Spannung zwischen größter Stille und Bewegung. Tarkowskis nächtliche Fahrt in "Solaris”, eine Fahrt auf Highways in ständigen Zwischenbereichen, in Tunnels und Lichthöfen, wird erinnert.

Zahra zeichnet keine Außenwelt ab, eher ein Netz aus figurativen Ahnungen : Formen tauchen und lösen sich auf, bilden jene Licht-und Schattenzonen, die unter den "Dingen” liegen. Der Malweg läuft dorthin, wo Wirklichkeit sich anders darbietet: rote "Nachbilder” zum Beispiel, die beim schnellen Schließen der Augen entstehen, wenn man lange ins grelle Licht geschaut hat. Die "Nachbilder” verschwinden langsam und ziehen den Betrachter in dunkle, fremde Welten hinein. Zwischen größtmöglicher Illusion und extremster Abstraktion entwickelt sich etwas Drittes.

Was sich da auf der Leinwand oder auf dem Papier in Farbe herauskristallisiert, entspringt der Erinnerung an Gesehenes als Struktur, die evoziert wird. Das Begriffspaar Makro-Mikro-Kosmos kommt ins Spiel. Tief in der menschlichen Psyche verankerte Vorstellungen werden berührt, obwohl gerade die rigoros reduzierte Formen und Farben der Bilder eine Distanz schaffende Barriere setzen könnten. Doch nichts liegt Miro Zahra ferner als nostalgisch-mystische Naturschwärmerei.
Die Arbeiten sind auch nicht als eine späte Fortsetzung der écriture automatique zu lesen. Es geht ihr weder um die Aufzeichnung des Unterbewußten, noch um die Seismographie ihrer Künstlerseele. Zahras Bilder entstehen aus einem entschiedenen Akt der Konzentration, der Beschränkung aufs Wesentliche. So ist Abwarten für Miro Zahra eine ebenso wichtige Tätigkeit wie das Malen selbst.

Die oft beim ersten Anblick äußerst reduziert erscheinenden Bilder Miro Zahras erweisen sich als das Ergebnis eines oft über viele Monate sich erstreckenden Arbeitsprozesses. An dessen Beginn spielt Farbe in der Tektonik eines Bildes nur eine Nebenrolle. Sie erscheint eher solitär und noch nicht als Farbakkord, nicht als tragendes Element auf der Leinwand. Graphische Elemente wie kristalline Liniengitter, Kreise treten als filigrane Strukturen zuerst auf. Sie besetzen die Bildfläche, ohne dabei Zentren oder hierarchische Felder zu bilden. Oft formieren getupfte oder lineare Pinselideogramme ein vibrierendes, maschenartiges Netz oder aber verdichten sich zu wirren Kristallisationen. Mit den über ihnen und übereinander liegenden Farbschichten führen sie dann einen Dialog. Beeindruckend ist, dass dieses "Ziehen” zwischen Linien und Fläche, zwischen Adern und Bindegewebe spürbar bleibt, dass die Künstlerin dieses Schwanken nicht über- und zugemalt hat. Handwerklich verrät sich dennoch das geheimnisvolle Innenleben der Bilder nur an den Rändern, wo die einzelnen, sich gegenseitig aufheizenden oder dämpfenden Über- und Untermalungen sichtbar werden.

Durch den künstlerischen Prozeß erfährt das Material eine Wandlung. Die z.T. oszillierenden, schwerelos in einem unbestimmbaren Bildraum schwebenden Strukturen der Punkte, Linien, Striche und Tupfen hat dem bloßen Farbmaterial eine pulsierende Kraft gegeben.
Kalligraphische Details und Farbmembranen gehen wie durch osmotischen Austausch ständig ineinander über, durchdringen einander und verdichten sich zu neuen, vibrierenden Farbwerten. Die schichtweise aufgetragene Farbmaterie bildet einen opaken Film, der das Licht nicht reflektiert, scheinbar aber dennoch Licht sammelt und abgibt. Zweifel kommen auf, ob diese Licht-Strömungen vor dem Bild auftreten oder hinter ihm aufscheinen. Auch wenn sie in der für sie bestimmten Fläche eingefangen sind, weisen sie doch eine Energie auf, die weit über die bildliche Begrenzung hinausgeht. Die Bilder verweisen immer wieder auf jenes die ganze Fläche überziehende Strukturierungsprinzip, das sowohl Begrenzung und Ausschnitt als auch die Fortführung ins Unendliche suggeriert.

Fließende Bewegung und verhaltene Stille fügen sich zu unbestimmbaren Kompositionen zusammen, die das permanente Übermalen, Abtragen und Hinzufügen als fortwährende Arbeit, einem Naturprozeß vergleichbar, bezeugen.
Dem skrupulösen Vorgehen entspricht der lange Weg zum Resultat.
Malerei wird eher ein Akt des Erinnerns selbst als das Erinnerte, das entschwindet. Mit dem Malvorgang wurde der Farbe Zeit eingeschrieben Es ist, als hätte sie sich mit ihr zusammen verfestigt, verdichtet. Malerei als Zeit-Kondensat, die mehr als nur einen Oberflächenreiz bietet.
Strahlend und licht erscheinen die Bilder von Miro Zahra in Gelborange, in lustvollen Rottönen oder in den schweigenden Modulationen von Grau und Violett; ohne große Gesten locken diese in sich versunkenen Farbfelder ins Grenzenlose hinein.

Sowohl mit den "grauen” Bildern, als auch mit den roten "Nachbildern” neueren Datums, die von einem ständigen Wechsel der Helligkeitswerte und von innerer Rhythmik der eingeschriebenen Zeichen oder Linien bewegt sind, erreicht Miro Zahras Kunst eine Zone der Freisetzung meditativer Kräfte. Sie fordert durch ihre Konzentration auf (scheinbar) wenige, subtile Farbvariationen Vergleiche heraus, provoziert das Wahrnehmungsvermögen des Betrachters.
Unter der Intensität des Schauens entwickeln die Bilder einen eigenartigen Sog, eine fast hypnotische Qualität Eine Möglichkeit, sich ihnen zu nähern, besteht darin, sich von ihrem matten Licht, von ihrer farbigen Stille in einen Zustand der Ruhe versetzen zu lassen, sich ohne Eile auf ihren Farb-Pfaden zu bewegen.